Gretel Sames war frisch verwitwet, als sie im Alter von 87 Jahren begann, eine Kiste voller Briefe zu bearbeiten, um sie für ihre Familie zu erhalten. Sie konnte die Sütterlin-Schrift noch lesen, in welcher die Briefe verfasst waren: authentische Wiedergaben der Ereignisse während der Herrschaft der Nationalsozialisten und darüber hinaus. Die Veröffentlichung der Brief-Zeugnisse kann dazu beitragen, dass nicht nur schwächliche, schwarz-weiße Klischees an die Öffentlichkeit kommen, sondern auch das vielseitige, das pralle Leben selbst. Einige Briefe aus der kurzen Zeit einer jungen Liebe in Friedenszeiten werden gefolgt von denen über die gesamte Zeit des Krieges, während sich Gretel, die Frau des Pfarrers Ernst Sames, und Ernst selbst um tägliche gegenseitige Nachrichten bemühen. Gretel schreibt sie nach dem Tod von Ernst ab, kommentiert sie und ergänzt die Ereignisse. Die Briefe und erzählenden Kommentare handeln zum einen von der Auseinandersetzung mit dem Versuch der Nationalsozialisten, nicht nur eine neue Kirche, sondern auch neue Glaubensinhalte zu etablieren (Gretel und Ernst waren Mitglieder der Bekennenden Kirche und wurden von der Geheimem Staatspolizei, der Gestapo, Ende 1938 aus dem "Gau Hessen" ausgewiesen). Dann handeln die Briefe vom militärischen Dienst und der Entwicklung der Familie, die inzwischen um zwei Kinder gewachsen ist. Ernst muss nahe an die Front. Er muss nicht unmittelbar töten, aber täglich Vernichtungswaffen gegen das russische Land und sein Volk in Stellung bringen. Soldaten, auch Ernst, werden nicht von traumatischen Erfahrungen verschont: dem Zusehen beim Sterben und dem Kampf ums eigene nackte Überleben. Gretel hat das Vorrecht, erst im Nachhinein davon zu erfahren. Aber die Gefahren sind real; auch sie muss das wahrnehmen. Da sind ja auch die kaum zu fassenden Todesopfer in der Familie. Sie darf aber auch über die Rückkehr ihres Mannes nach zwei Jahren sibirischer Gefangenschaft und einen friedlichen Neuanfang des Familienlebens berichten.